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24. Mai 2023

Von Hänsel und Gretel und Betten aus Stroh

Mitarbeiterinnen erzählen Märchen im Katholischen Altenzentrum – AOK finanziert Projekt „Märchen und Demenz“  


Eine Märchenstunde gab es am Montag vor Pfingsten im Katholischen Altenzent-rum Landau. Und im Schnitt einmal pro Monat soll es fortan weitere Märchenstun-den geben, die insbesondere auf demenzerkrankte Menschen ausgerichtet sind. Die Präventionsmaßnahme „Es war einmal ... Märchen und Demenz“ hat dafür den Grundstein gelegt. 


Rund 20 Seniorinnen - die Runde ist rein weiblich - sitzen am Montagvormittag im Kreis mit Elena Dillmann und Lisa Thomas. Die beiden, gewandet in lange Mäntel, lesen Märchen vor: Rapunzel, Die Prinzessin auf der Erbse, Hänsel und Gretel. Die beiden Leserinnen - wie acht weitere Kolleginnen - haben sich für ihren Vor-trag extra schulen lassen. Die Schulung gehörte zu einer von der AOK finanzierten und in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Gmbh „MÄRCHENLAND - Deutsches Zentrum für Märchenkultur“ durchgeführten Maßnahme.

 
Sie lesen mit klarer, kräftiger Stimme, gut verständlich, und ihre Zuhörerinnen lauschen aufmerksam und spenden wohlwollend Beifall nach jedem Vortrag. Und dann reden sie - angeregt durch Fragen der Vorleserinnen - über das, was sie mit den gehörten Märchen verbinden: woran sie sich, etwa aus ihrer Jugend, erinnern können und auch darüber, was da in den eben vorgetragenen Märchen anders war, als sie es in Erinnerung haben. Elena Dillmann und Lisa Thomas haben nämlich nicht die verbreiteten Texte der Grimm-Sammlung oder - bei der Prinzessin auf der Erbse - von Hans Christian Andersen vorgelesen, sondern Versionen aus anderen Sammlungen. Da geht etwa die Geschichte mit Rapunzel und dem Prinzen, die hier am Ende in einer Zauberkugel der bösen Fee entkommen, so ganz anders aus, als bei der Grimm’schen Fassung. Und bei der Hänsel-und-Gretel-Version fehlte das „Knusper, knusper, knäuschen...“. Und einige erinnern sich auch noch an das Kinderlied von Hänsel und Gretel, singen es später auf dem Rückweg zu ihrem Zimmer. 


Angeregt tauschen sich die Seniorinnen nach dem Vortrag des Andersen-Märchens über die Matratzen und Bettdecken ihrer Jugend aus: Dreiteilig waren die Matratzen, oft noch mit Stroh gefüllt, und die Federbetten piksten oft wegen der kleinen Kiele, die sich durch die Inlett-Hülle drückten. Eine Frau aus dem Kreis er-zählt vom gemeinschaftlichen Federnschleißen - also dem Entkielen der Bettfedern - einst auf dem Dorf. Zum Ende der Stunde werden auch noch die Mäntel der Vorleserinnen begutachtet. Elena Dillmann trägt einen, der zur vom Träger der Präventionsmaßnahme zur Verfügung gestellten Ausrüstung gehört, Lisa Thomas hat einen aus chinesischer Seide. Den hat ihre Tante bei einer Peking-Reise vor vielen Jahren erstanden und ihn jetzt der Nichte für ihre Märchenstunden zur Verfügung gestellt. Auch dafür gibt’s wohlwollenden Beifall aus der Runde.


Diese Märchenstunde im Katholischen Altenzentrum ist hier nicht die erste, vorangegangen sind auch schon vier mit einem professionellen Märchenerzähler vom „MÄRCHENLAND“, der zudem die Mitarbeiterinnen vom Altenzentrum angeleitet hat. „Eine zweitägige in der Einrichtung durchgeführte Schulung gehörte ebenso zur Maßnahme, wie weitere Ausstattung für den Einsatz in der Einrichtung“, berichtet Lisa Thomas: USB-Sticks mit acht virtuellen Märchenstunden, also von den Fachleuten vorproduzierten Einheiten, die die Zuhörenden dann gemeinsam am Bildschirm verfolgen können. Außerdem gibt’s „MÄRCHENLAND“-Boxen mit Märchenbuch, Memory-Spiel, Ausmalblättern, Audio-CD und einer Märchenfilm-DVD. 


„Das Ziel ist, die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner in Pflegeheimen zu verbessern, soziale Interaktionen anzuregen und den Pflegealltag der Beschäftigten zu entlasten“, schreibt die AOK zur Einführung der Präventionsmaßnahme in Rheinland-Pfalz. „Die Reaktionen unserer Teilnehmerinnen scheinen den Ansatz zu bestätigen“, unterstreicht Lisa Thomas. „Allerdings“, räumt sie ein, „erreicht das Angebot vor allem die Frauen. Für die männlichen Bewohner sind Märchen wohl etwas weniger relevant.“


Das Katholische Altenzentrum Landau ist eine von insgesamt 26 Pflegeeinrichtungen in Rheinland-Pfalz, die in den Genuss der AOK-finanzierten Präventionsmaßnahme kommen. „Wir haben uns auf die Ausschreibung hin ganz schnell beworben und dann den Zuschlag bekommen“, berichtet Lisa Thomas. Das Projekt „Märchen und Demenz“, so informieren die Träger, dient zur Umsetzung des „Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention in stationären und teilstationären Pflegeeinrichtungen“. Es wurde, so heißt es weiter, „auf Grundlage einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebenen vierjährigen wissenschaftlichen Studie und in Kooperation mit der Alice Salomon Hochschule Berlin entwickelt und entspricht den gesetzlichen Anforderungen.“ Das Zentrum für Märchenkultur „MÄRCHENLAND“ wurde 2004 gegründet, „um das Medium Märchen als Weltkulturerbe zu bewahren und seine innovative Kraft in die aktuellen gesellschaftlich relevanten Themen einzubringen“. 


Text und Fotos: Henning Wiechers für den Caritasverband für die Diözese Speyer
Bildunterschrift: 
Bild 1 und 2: Elena Dillmann und Lisa Thomas (von links) lesen abwechselnd die Märchen vor.
Bild 3: Lisa Thomas zeigt die Begleitmaterialen vom "MÄRCHENLAND".