Caritasverband für die Diözese Speyer
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13. November 2023

“Kinder suchtkranker Eltern werden oft zu kleinen Helden“ 

Fachtag des Caritas-Zentrums informiert zu den Auswirkungen von Sucht und psychischen Erkrankungen auf Kinder
 

Kinder aus suchtbelasteten Familien werden später häufig selbst süchtig. Was Prävention dagegen tun kann, darum ging es – unter anderem - am Fachtag „Kin-der aus psychisch- und suchtbelasteten Familien unterstützen“. Eingeladen dazu hatte das Caritas-Zentrum Landau am 6. November in die Jugendstil-Festhalle. Rund 70 Interessierte nahmen an der Veranstaltung teil. 
 

Zielgruppe der Einladung waren pädagogische Fachkräfte aus dem Bereich der Kinder- und Jugendarbeit, von Kindertagesstätten und Schulen sowie aus der Sozialarbeit - darunter die Landauer Streetworker -, Mitarbeitende bei Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, von der Polizei und aus dem Gesundheitswesen. Julia Kramm und Susanne Mayer-Stork, beide Sozialpädagoginnen und Mitarbeiterinnen des Caritas-Zentrums - hatten den Fachtag gemeinsam mit vorbereitet. Sie betreuen seit zweieineinhalb Jahren zusammen mit dem Jugendamt der Stadt Landau ein Projekt zur Gesundheitsförderung und Prävention für Kinder, die in ihren Familien Suchtprobleme oder psychische Erkrankungen erleben. Die Förderung erfolgt mit Mitteln der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen des GKV-Bündnisses für Gesundheit sowie durch Gelder des Landes und Spenden. 
 

Neben Angeboten für betroffene Kinder haben sich die im Projekt Engagierten auch die Ausrichtung von Fachtagen, Veranstaltungen und Fortbildungen für Fachkräfte auf die Fahnen geschrieben. „Diese sollen für das Thema sensibilisieren, Informationen zu psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen vermitteln und den Blick für betroffene Kinder schärfen“. - „Aber wir wollen Fachkräfte auch in ihrem Handeln bestärken und zum Netzwerken ermuntern“, erläutern Kramm und Mayer-Stork. Drei Hauptpunkte bot das Programm: den Vortrag „Was brauchen Kinder aus psychisch- und/oder suchtbelasteten Familien?“ von Nina Roth, Leiterin des Referats Suchtprävention im Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV) in Mainz; eine musikalisch begleitete Lesung und schließlich einen Schwerpunkt zum Netzwerken.
 

Bei seiner Begrüßung unterstrich Michael Manz, stellvertretender Leiter des Caritas-Zentrums, wie wichtig die Unterstützung von Kindern aus betroffenen Familien ist: „Die Kinder halten die Familien am Laufen, sie sind kleine Held*innen, die dafür einen hohen Preis zahlen und später oft selbst Hilfe in der Suchtberatung suchen“. Auch der Landauer Sozialdezernent und Bürgermeister Dr. Maximilian Ingenthron sowie Susanne Buchenberger vom Jugendamt der Stadt betonten, wie unverzichtbar die Arbeit für die und mit den Kindern sei. Sie zollten großes Lob für die gute Zusammenarbeit des Caritas-Zentrums mit der Stadt. Besonderen Dank richteten sie an dessen Leiterin Elisabeth Traunmüller für ihr Engagement zur Realisierung des Projekts. 
 

Dieses Projekt stellten Julia Kramm und Susanne Mayer-Stork vor: Die Gruppen „Super Kidz“ - ein Treff für Kinder im Alter von sechs bis zehn Jahren - und „Taka-Tuka-Landau“ für Elf- bis 13-Jährige. Ziel des Gruppenangebotes sei, die Resilienz der Kinder zu fördern und psychosoziale Risikofaktoren zu minimieren. „Denn die Kinder können sich die Veränderungen bei den erkrankten Eltern oft nicht erklären, sind verunsichert, erleben vielfach Enttäuschungen, entwickeln Schuld- und Schamgefühle“, so Kramm. „In den Gruppentreffen widmen wir den Kindern Zeit und Aufmerksamkeit. Sie erhalten kindgerechte Aufklärung über psychische und Suchterkrankungen und lernen Gleichaltrige kennen, die in ähnlichen Situationen leben“, ergänzte Mayer-Stork. Außerdem könnten sie sich in Freizeitaktivitäten ausprobieren und so ihre Ressourcen entdecken und Alltagskompetenzen stärken. Auch Rituale wie ein gemeinsamer Imbiss oder Karten mit Komplimenten der anderen Kinder als Gabe zum Geburtstag spielten eine wichtige Rolle. „Den Kindern ein Hilfsangebot zu machen heißt: Beziehung, Raum und Struktur anbieten“, fasste Kramm zusammen. Gesprächsangebote an Eltern und Bezugspersonen sowie das Netzwerken mit anderen Fachkräften dienten dazu, die Kinder für die Gruppen zu gewinnen. 
 

Mit dem Satz „Suchtprävention ist, dass belastete Kinder nicht süchtig werden“ griff Referentin Nina Roth in ihrem lebendig und interaktiv gestalteten Vortrag den Faden auf: „Circa 30 Prozent der Kinder aus belasteten Familien“, so die Fachfrau, „werden in der Regel selbst süchtig. In Deutschland leben über 2,5 Millionen Kin-der mit mindestens einem alkoholkranken Elternteil und 40.000 bis 60.000 mit mindestens einem drogenabhängigen Elternteil“. Folge: „Rund 50 Prozent der Kinder leiden unter Ängsten, Depressionen und anderen psychischen Störungen, circa 80 Prozent der Töchter verbinden sich später mit alkoholabhängigen Männern“. 

Die Kinder erlebten im Alltag vielfach Anspannung, Unberechenbarkeit, Willkür, Instabilität, emotionale Kälte, unklare Grenzen und Respektlosigkeit. Sie reagierten darauf oft mit Isolierung und Abwehrmechanismen, aber entwickelten auch eine feine Beobachtungsgabe und schlüpften in bestimmte Rollen wie „Held“, „Maskottchen“, „Sündenbock“, „Das vergessene Kind“.

 

In einem mit Teilnehmenden gestalteten „Standbild“ stellte Roth symbolisch eine Familie mit alkoholgefährdetem Vater, depressiver Mutter, Sohn im Schüleralter und Tochter im Kita-Alter in ihren Beziehungen zueinander und der innerfamiliären Lastenverteilung dar. Dem Bild zugesellt wurden dann Platzhalter für Institutionen aus dem Hilfesystem: Jugendamt, Kita-Leitung und Suchtberatung. Roth ließ sowohl die an diesem Bild Beteiligten von ihren Gefühlen und Assoziationen berichten, wie sie auch Stimmen dazu im Plenum sammelte. So konnte sie Einsichten zum Verständnis der Familiensituation und zur möglichen gegenseitigen Abstimmung der Hilfeinstitutionen „sehr lebensnah“ - wie eine Teilnehmerin urteilte - vermitteln. Wichtig war es der Referentin zu betonen: „Bei allen negativen Einflüssen durch die Erkrankung bewahren die Eltern ein Bewusstsein für ihr Elternsein und die Kinder lieben ihre Eltern.“ Das müsse und könne die Unterstützung für die Kinder einbeziehen.
 

Des Themas Depression hat sich die Autorin und Liedermacherin Claudia Gliemann in ihrem von Nadja Faichney illustrierten Kinderbuch „Papas Seele hat Schnupfen“ angenommen. Sie stellte in einer von ihr selbst musikalisch begleiteten Lesung die Geschichte von Nele vor. Die Tochter einer Artistenfamilie muss erleben, dass ihr Vater wegen einer Depression nicht mehr arbeiten kann. Die Autorin war mit Kramm und Mayer-Stork im Frühjahr eine Woche an Landauer Grundschulen unterwegs um mit ihrem Buch Kindern das schwierige Thema nahe zu bringen.
 

Im „Netzwerk-Teil“ des Programms stellten sich verschiedene Einrichtungen und Selbsthilfegruppen in fünfminütigen „Steckbriefen“ vor – unter anderem die Fachstelle Sucht des Hauses der Diakonie, die als wichtiger Partner gemeinsam mit dem Caritas-Zentrum die Fortbildung Kind s/Sucht-Familie durchführen. Kramm und Mayer-Stork lobten die gute Zusammenarbeit im gesamten Netzwerk, denn Kinderschutz könne nur gemeinsam gelingen. 
 

Text und Fotos: Henning Wiechers für den Caritasverband für die Diözese Speyer

Bildunterschrift: 
Nr.1 und 2: Julia Kramm (links) und Susanne Mayer-Stork stellten ihre Arbeit in Landau vor.
Nr. 3: Nina Roth vom LSJV Mainz ließ das Modell eines Babys mit Schädigungen durch Alkoholkonsum der Mutter während der Schwangerschaft durch die Reihen gehen.
Nr.4: Rund 70 Interessierte waren der Einladung zum Fachtag gefolgt.
Nr.5: Bildhaft stellte Nina Roth eine Familie mit Alkoholproblem beim Vater und Depression bei der Mutter auf. Außen stehen die Vertreter der Hilfeeinrichtungen Jugendamt (links), Kita-Leitung (spricht gerade mit Nina Roth) und Suchtberatung (rechts außen).
Nr.6: In einem Glas wurden Herze mit Herzensworten für betroffene Kinder gesammelt.